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BUCHTIPP: „Gebrauchsanweisung für Indien“ von Ilija Trojanow

Wohl jeder von uns hat seine Bilder von Indien im Kopf: Die farbenfrohen Saris der Frauen, den betörend schönen Taj Mahal, Yoga, Ayurveda und die Gurus, die berühmten heiligen Kühe oder Elendsbilder bitterer Armut. Nicht zu vergessen die „Spiritualität Indiens“, die seit jeher Sinnsucher en Masse in das Land zieht. Aktuell steht Indien aber auch für einen IT- und Software-Boom. Kaum ein Land lädt so zu Abziehbildern ein wie Indien. Dabei ist es ebenso vielfältig wie widersprüchlich.

Wer – wie wir – Indien zum ersten Mal bereist, noch dazu gleich zwei Wochen in der 20- Millionen-Metropole Delhi verbringt, erlebt einen Kulturschock. Scheinbar alles ist hier anders: Der Kontrast zwischen arm und reich ist viel schärfer, Armut ist hier überall und drastisch sichtbar, die unglaublich vielen Menschen, die alle ständig unterwegs zu sein scheinen, der chaotische, ohrenbetäubend laute Verkehr, die Strukturlosigkeit der Städte, der Müll. Und überall Symbole einer Religion, der man nachsagt, sie habe so viele Götter, wie es Inder gibt: der Hinduismus. Wie kann man ein solches Land verstehen?

Indienkenner Ilija Trojanow

Wir greifen – wie immer in solchen Fällen – zu der von uns sehr geschätzten Reihe der „Gebrauchsanweisungen für…“ aus dem Piper-Verlag. Autor der Indien-Ausgabe ist Ilija Trojanow, von dem wir schon einiges gelesen haben, so dass die Vorfreude auf das Buch groß war. Er selbst ist ausgewiesener Indienkenner, schreibt aber gleich zu Beginn „über das Unverfrorene des Vorhabens, über die Unermesslichkeit des Themas“. Dennoch ist er zuversichtlich, die Herausforderung zu meistern. Schließlich hat er viele Jahre in dem Land gelebt und nahezu alle Regionen intensiv bereist. Anlass war, dass er sich auf die Spur eines britischen Kolonialoffiziers des 19. Jahrhunderts gemacht und über ihn einen – sehr erfolgreichen – Roman verfasst hat mit dem schönen Titel „Der Weltensammler“. Dies und seine faszinierenden Reportagen in „Der entfesselte Globus“ machen Trojanow zu einem vielgelesenen literarischen Globetrotter.

Zurück zur „Gebrauchsanweisung für Indien“: Der Leser wird dort eingeladen, das Land und seine Besonderheiten anhand von mythologischen Schlüsselbegriffen besser begreifen zu können. Von Mantra über Guru bis Artha. In neun Kapiteln, die mehrheitlich um zentrale Themen des Hinduismus und Buddhismus kreisen, werden kulturelle Bräuche und Feste geschildert und erläutert, wobei der Fokus stark auf der komplexen Religiosität und Mystik der untereinander sehr verschiedenen Regionen Indiens liegt. Dadurch wirkt das Buch auf mich erstaunlich abgehoben –abgesehen davon, dass ich den Hinduismus nach wie vor nicht kapiere (was wohl an meinem mangelnden Talent für Religiosität liegt).

Wenig über Politik und Gesellschaft

Eher nebenbei erfährt man auch etwas über die im Umbruch befindliche Gesellschaft und das nach wie vor wirksame Kastenwesen, etwas zu Medien und Bollywood, nur wenig über Politik, kaum etwas zur Wirtschaft. Gerade solche Themen aber hätten mich mehr interessiert. So ist zum Beispiel die indische Politik seit Jahren in einem dramatischen Veränderungsprozess – Stichwort „Hindu-Nationalismus“. Trojanow beschreibt das Auseinanderdriften von Hindus, Moslems und Christen, vor allem durch den zunehmenden ideologischen Einfluss der radikalen Hindu-Partei, die übrigens seit drei Jahren auch den Ministerpräsidenten stellt. Allerdings bleibt die Frage offen, warum es auch in Indien zu einer Renaissance des Nationalismus, gepaart mit fundamentalistischer Religiosität, kommt und wohin dieser Weg der größten Demokratie der Welt – und Atommacht – führen kann. Das geht uns alle etwas an.

Viel über Religion und Spiritualität

Das Buch ist vor allem denjenigen zu empfehlen, die mehr über das spirituelle Indien wissen und erfahren wollen, was einen Menschen zum Guru macht und warum die Feste zu Ehren der Götter nicht turbulent genug ausfallen können. Auch wer schon immer versucht hat, den – von den Briten übernommenen – indischen Volkssport Cricket zu verstehen, der wird in diesem Buch auf sehr amüsante Weise aufgeklärt. Ebenso erfährt der Leser Interessantes über Ursachen und Bedeutung des Monsuns, aber auch über die feine, mitunter extrem scharf gewürzte (süd)indische „Masala-Küche“. Etwas mehr Schärfe und Aktualität hätte auch diesem Buch gutgetan.

Ilija Trojanow: Gebrauchsanweisung für Indien. Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe, 7. Auflage 2011

Ilija Trojanow: Der Weltensammler. dtv 2007

Ilija Trojanow: Der entfesselte Globus. Reportagen, dtv 2010

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Wolfgang Eckart reiste 19 Monate mit seiner Frau um die Welt. Inzwischen lebt er wieder in Süddeutschland und ist nach wie vor gerne als aufmerksamer Entdecker unterwegs.

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