
BUCHTIPP: „Der stille Amerikaner“ von Graham Greene
Wie aktuell kann ein Roman über Machtpolitik und Moral, Krieg und Kriegsberichterstattung, Rolle des Westens und dessen folgenschwere Politik in den Kolonialgebieten sein, der in den 50er Jahren in Vietnam geschrieben wurde? Noch dazu, wenn er zugleich eine Geschichte erzählt, bei der zwei Männer zu Rivalen um eine attraktive Vietnamesin werden?
Ich verspreche es: Sehr aktuell! Das Buch, das der britische Autor Graham Greene in der ersten Hälfte der 50er Jahre bei seinen Aufenthalten in Vietnam geschrieben hat, hat schon bei seiner Veröffentlichung 1955 eine ungewöhnlich starke politische Wirkung entfaltet. Und es erwies sich geradezu als prophetisch, was die Rolle der USA in Vietnam betrifft. Heute gelesen, drängen sich Vergleiche zu Lybien, Irak und Syrien geradezu auf.
Doch zurück zum Buch. Da ist zum einen der Ich-Erzähler Thomas Fowler, ein vietnamerfahrener, abgebrühter britischer Korrespondent, der über den unerbittlich geführten Krieg der französischen Kolonialmacht gegen die immer stärker werdenden kommunistischen Vietminh im Norden berichtet, sich aber aus allem raushalten möchte. Schließlich sei das nicht „sein Krieg“. Das ändert sich allmählich, als er Alden Pyle kennenlernt, einen gebildeten, ernsthaften, aber reichlich idealistisch auftretenden jungen Mann. Er ist „der stille Amerikaner“, der – gerade erst in Hanoi angekommen – in einer undurchsichtigen Mission unterwegs ist und von einer „dritten Kraft“ träumt, die in Vietnam alles zum Guten wenden, sprich: zur Demokratie nach amerikanischem Vorbild führen würde. Für den unerfahrenen Pyle ist Fowler so etwas wie ein Vorbild, zwar zynisch, aber lebenserfahren und klug. Beide freunden sich an, werden aber zu Konkurrenten um die vietnamesische Geliebte Fowlers, die schöne Phuong. Sie wird zwar eher zurückhaltend, ja fast kindlich geschildert, gleichzeitig aber gewinnt man zunehmend den Eindruck, dass sie willensstark und widerstandsfähig und so auf ihre Art beiden männlichen Vertretern der alten Kolonialmächte überlegen ist.
Die Freundschaft zerbricht, als Pyle dem alternden Fowler die Geliebte ausspannt. Als der zudem entdeckt, dass Pyle keineswegs in einer Hilfsmission unterwegs ist, sondern für den US-Geheimdienst arbeitet, gibt Fowler seine journalistische Neutralität auf und handelt. „Früher oder später muss man Partei ergreifen. Wenn man ein Mensch bleiben will (…).“
Das Buch liest sich wie ein Krimi und ist von der ersten bis zur letzten Seite spannend, voller kluger Dialoge und dramaturgisch gestaltet wie ein Theaterstück. Kein Wunder, dass Greenes’ Roman schon zweimal verfilmt wurde. Da das Buch von US-Seite als „antiamerikanisch“ eingestuft wurde (es war mitten im Kalten Krieg), wurde der Plot des ersten Hollywoodfilms flugs umgedreht: Pyle war nunmehr der Held und Fowler ein mieser Charakter. Greene war darüber so empört, dass er ihn als „Propagandafilm für Amerika“ bezeichnete. Bittere Ironie der Geschichte: Genau zehn Jahre nach Erscheinen des Romans, in dem sich ein Engagement der US-Amerikaner abzeichnete, begann 1965 nunmehr offen der zweite Vietnamkrieg. Die Folgen sind bekannt: Mehr als drei Millionen Vietnamesen und 58.000 GI’s starben in einem Konflikt, der für die hochgerüstete Supermacht USA nicht zu gewinnen war. Äußere Spuren beider Kriege sind zwar heute kaum noch sichtbar, die Kriege selbst sind aber im kollektiven Bewusstsein des vietnamesischen Volkes und in der Staatspropaganda sehr lebendig.
Graham Greene, Der stille Amerikaner, Zsolnay E-Book, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013