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MADAGASKAR: Bitterschönes Land

Wir sahen faszinierende Landschaften und trafen freundliche, hilfsbereite Menschen. Wir sahen aber auch Kinder, die als Lastträger Ziegelsteine auf dem Kopf balancierten. Und wir sahen Menschen, die zahlreiche, mit Wasser gefüllte Kanister mit primitiven Karren mühsam bergan schoben zum noch weit entfernten Dorf.

Schon vor Madagaskar hat uns die Frage beschäftigt: Wie wird es uns wohl gehen bei der Reise durch ein Land, das zu den ärmsten der Welt gehört? Wie mit all den Widersprüchen umgehen, die solch eine Reise mit sich bringt? Einerseits wunderschöne Landschaften, eine freundlich wirkende Bevölkerung und (fast) jeden Tag neue, intensive Erlebnisse mit Mensch und Natur. Andererseits der Eindruck bitterer Armut oder deren Folgen: Bettelei, Kinderarbeit, Menschen – vor allem Frauen – als Träger schwerster Lasten, Dörfer und Städte voller heruntergekommener Gebäude und Straßen, Müll, Staub und Dieselruß. Oder sitzen wir vielleicht nur unserer „westlichen Sichtweise“ auf, wie ein wohlmeinender Freund anmerkte, nachdem er Elkes Text über unsere ersten Eindrücke von Antananarivo gelesen hatte? Sind wir nur zu voreingenommen oder überempfindlich gegenüber anderen Kulturen und deren Sitten und Gebräuchen?

Hier ein paar Eindrücke. Bitte einfach auf ein Bild in der Galerie klicken, dann wird es größer.

Auf der Route National 7

Während der letzten zehn Tage unserer Reise quer durch die Mitte und den Süden Madagaskars haben wir diese Widersprüche sehr intensiv erlebt. So waren schon die etwa 1.000 km Fahrt ein kleines Abenteuer: Eine Nationalstraße (die berühmte RN7), die immer wieder von kraterförmigen, tiefen Schlaglöchern unterbrochen wird und ebenso unvermittelt in eine ruppige Sand- oder Lehmpiste übergeht. Was waren wir froh, dass wir mit Eddy einen zuverlässigen, ortskundigen Fahrer hatten, der all dies mit stoischer Ruhe bewältigte – für ihn schließlich ganz normaler Alltag. Aber auch Eddy konnte es sich nicht verkneifen, sich über Regierende auszulassen, die vor jeder Wahl tolle neue Highways versprechen, es dann aber nicht einmal schaffen, die alten zumindest notdürftig zu reparieren.

Hier kommt China ins Spiel, das in bestimmten Landesteilen etliche neue, bessere Straßen baut – nämlich dort, wo Güter und Bodenschätze an die Küste transportiert werden müssen. Dieses Muster gibt es schon in anderen Teilen Afrikas, und wir haben den Eindruck, dass China eine zunehmend dominante Rolle spielt, wenn es um den Aus- und Aufbau von Infrastrukturen geht. Sicher nicht zum Nachteil des Reichs der Mitte mit seinem enormen Bedarf an Rohstoffen…

Ein Markttag im Hochland

Von Antsirabe, einer im zentralen Hochland auf 1.700 m gelegenen, in dieser Jahreszeit durchaus kühlen Stadt, machen wir uns mit unserer lokalen Führerin Hanita auf, um einen Markttag in einer nahegelegenen Kleinstadt zu erleben und danach durch die schönen Reisterrassen zu wandern, für die die Region berühmt ist. Da Reis das Grundnahrungsmittel Nr. 1 ist, prägt der Reisanbau das Bild des Landes, das uns ohnehin sehr asiatisch vorkommt, obwohl es dem afrikanischen Kontinent nur 400 km vorgelagert ist. Am Markt spielt sich fast alles am lehmigen Boden ab. Wir sehen große, zu Pyramiden aufgeschichtete Mengen von Rüben aller Art, Kartoffeln und Pastinaken, zusammengeschnürte Hühner mit einem Hahn obendrauf, Schmiede bei der Herstellung von kleinen Spaten und Sicheln. Und wir sehen, wo all die Altkleider aus Europa letztlich landen und verkauft werden. Auf unseren Wunsch hin können wir spontan zwei Schulen kurz besuchen: eine private Vorschule, der eine resolute Rektorin (und Eigentümerin der Schule) vorsteht und eine öffentliche Secondary School, die, im Gegensatz zur privaten, in sehr heruntergekommen Räumen haust und deren Lehrkäfte nicht sonderlich motiviert wirken. Lehrer sind hier sehr schlecht bezahlt, und man kann schon froh sein, wenn sie überhaupt zum Unterricht erscheinen.

Hier ein paar Eindrücke vom Markttag. Bitte einfach auf ein Bild in der Galerie klicken, dann wird es größer.

Lemurensuche auf schlammigen Pfaden

An der ganzjährig feuchten Ostküste dann ein fantastisches Regenwald-Erlebnis! Mit Elysee, unserem Führer vom dort lebenden Stamm, unternehmen wir eine Tour durch den Ranomafana-Nationalpark auf der Suche nach sehr seltenen Goldenen Bambuslemuren, steigen kreuz und quer durch dichten, steilen Regenwald – sehen aber lediglich ein paar wenige Exemplare der dort lebenden zwölf Lemurenarten. Elysee meint, dass es am starken Regen liege, denn es schüttet fast den ganzen Tag, und nach kurzer Zeit sind wir klitschnass, unsere Schuhe verschlammt, und hin und wieder pflücken wir Blutegel von unserer Kleidung. Einer schafft es dann doch noch bis zu meiner Haut…

Ein Stück Arizona in Madagaskar

Anderntags –zurück im zentralen Hochland – wird es rasch trockener und deutlich wärmer. Erneut lassen wir uns von Einheimischen führen und sind von der bergigen Landschaft und den zyklopenhaften Granitfelsformationen begeistert. Noch intensiver wird das Naturerlebnis am nächsten Tag, als wir im Isalo-Nationalpark erst bizarr geformte, in allen Rottönen leuchtende Sandsteingebirge sehen, die stark an Marlboro-Landschaften in Arizona erinnern, und dann in tiefe Canyons absteigen mit paradiesisch anmutenden Wasserfällen und natürlichen Pools. Von der Schönheit dieser Landschaft tief beeindruckt, macht es uns kaum etwas aus, dass das Schlafquartier deutlich jenseits unserer Komfortgrenzen liegt…

Hier ein paar Bilder aus dem Isalo-Nationalpark. Bitte einfach auf ein Bild in der Galerie klicken, dann wird es größer.

Im wilden Süden

Danach heißt es: Auf in den wilden Süden! Je weiter wir dorthin vordringen, um so nervöser wird unser Fahrer Eddy. Er erzählt uns, er habe gerade erfahren, dass der dortige Stamm Rache geschworen habe für einen toten Jungen in der Hauptstadt. Rache an einem Merina – also an seinem Stamm. Letztlich passiert zwar nichts, aber Eddy ist froh, als er sich nach Ankunft in unserem Zielort Ifathy rasch wieder auf den Rückweg machen kann. Nach wie vor spielt die Stammeszugehörigkeit eine zentrale Rolle im Leben der Madegassen. Zwölf anerkannte Stämme gibt es, und jeder hat seine eigenen Riten, Tabus und Gebräuche. Laut offizieller Statistik sind ca. 60 Prozent der Madegassen tief im Ahnenkult verwurzelt, der Rest christlich oder muslimisch – vermutlich sind es aber viel mehr, die animistischem Glauben anhängen. Ein überall verbreitetes Ritual ist auch für die – mittlerweile endemische – Pest auf Madagaskar verantwortlich: Das Ausgraben einer Leiche nach einem Jahr, um die Knochen zu säubern und in ein neues Grab umzubetten. So bleibe man den Ahnen gewogen, die eine wichtige Brücke ins Jenseits darstellen.

Als ich vorsichtig versuche, mit Coco, einem unserer Führer – ein junger Mann, der gut Englisch spricht und gebildet wirkt – darüber ins Gespräch zu kommen, macht er mir freundlich klar, dass auch er sich mit dieser Tradition voll identifiziert. Von der Pest will er nichts wissen. So bleibt der zwiespältige Eindruck, ein Land zu bereisen, das uns zugleich sympathisch nah kommt und doch sehr fern ist.

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Wolfgang Eckart reiste 19 Monate mit seiner Frau um die Welt. Inzwischen lebt er wieder in Süddeutschland und ist nach wie vor gerne als aufmerksamer Entdecker unterwegs.

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