
PERU: Auf den Spuren der Inkas
Cusco im Süden Perus. Wir sehen die Silhouette einer schönen, fast mediterran anmutenden Stadt, erbaut im spanischen Kolonialstil. Überall macht- und prachtvolle barocke Kirchen, allen voran die riesige Kathedrale an der Plaza de Armas. Darum das Häusermeer mit den typischen Atriumhäusern. In den Straßen quirliges Leben. Nahezu nichts erinnert baulich daran, dass dies einstmals die Hauptstadt des riesigen Inkareiches war und für die damaligen Menschen der Mittelpunkt der Welt.

Die goldgierigen Spanier eroberten Anfang des 16. Jahrhunderts im Auftrag der Krone und im Zeichen des Kreuzes nahezu im Handumdrehen das Inkareich. Sie raubten, mordeten oder versklavten die Einwohner und löschten bewusst alles aus, was diese erschaffen hatten. Nichts sollte mehr an die Inkas, ihre Kulturleistungen und ihren Glauben erinnern. Bittere Ironie der Geschichte: Es waren die Inkas selbst, die etwa 300 Jahre lang andere Völker wie die Nasca, die Mochica und die Huari unterworfen und jegliche Erinnerung an deren hochstehende Kulturen unterdrückt hatten. Die Sieger schreiben ihre Geschichte eben stets aus ihrer Perspektive.
Peru und sein reiches Erbe
Doch beiden Eroberern, weder den Inkas noch den Spaniern, ist es gelungen, die Erinnerung an die Vorgängerkulturen gänzlich auszulöschen. Nicht erst seit der legendären Wiederentdeckung von Machu Picchu im Jahre 1911 lebt die Geschichte und Kultur der Inkas, ihre Leistungen und ihre Mythen wieder auf – und auch die der Vorgängerkulturen. Letztere kann man im erstklassigen Museo de Arte Precolombino in Cusco bewundern. Peru pflegt heute sein vorkoloniales kulturelles Erbe, es ist ein gewichtiger Teil seines Nationalstolzes geworden – und natürlich eine Einnahmequelle aus dem nie versiegenden Strom des Inka-Tourismus. Allerdings konzentriert sich dieser auf die doch recht wenigen, einigermaßen erhaltenen oder rekonstruierten Monumente, weshalb viele davon heillos überlaufen sind.
Machu Picchu
Cusco ist der ideale Ausgangspunkt für die Erkundung der archäologischen Stätten im und rund um das Valle Sagrado, das Heilige Tal der Inkas. Kaum in Cusco angekommen, machen wir uns per Zug auf den Weg nach Machu Picchu.

Diese Stadt in den Wolken, wie sie gerne genannt wird, ist ja zum Inbegriff für die erstaunlichen Bauleistungen der Inkas geworden. In einem schwer zugänglichen Gebiet auf einem Bergrücken auf 2.430 Metern zwischen zwei Gipfeln gelegen, breitet sie sich terrassenförmig aus. Die exponierte Lage und die steilen Abhänge erforderten höchste Baukunst, was angesichts der sehr begrenzten technischen Möglichkeiten – die Inkas kannten weder Rad noch Zugtiere noch Wagen, alles musste also überwiegend mit menschlicher Kraft geleistet werden – schon sehr erstaunlich ist. Bis zu 1.000 Menschen konnten hier oben leben und arbeiten. Über den Sinn und Zweck dieser eigenartigen Höhenlage wird bis heute gerätselt, gibt es verschiedene Theorien. Dass sämtliches überliefertes Wissen über die Inkas nicht auf Aufzeichnungen beruht – die Inkas kannten keine Schreibschrift, ihre Knotenschrift konnte nur Ziffern ausdrücken – sondern aus spanischen Quellen und aus archäologischen Funden stammt, macht auch ihren modernen, geheimnisvollen Mythos aus.
Blüte und Niedergang
Wir erleben Machu Picchu vor allem als Ruinenstadt in sehr spektakulärer Lage. Zweifelsohne sind die Bauwerke sehr bemerkenswert, allen voran die fein gefugten, riesigen Granitblöcke der Tempelbauten und die bis heute voll funktionstüchtige Wasserversorgung mit dem ausgetüftelten Zu- und Ableitungssystem. Gleichzeitig wird uns bewusst, dass wir es mit einer vorwiegend bäuerlichen Zivilisation zu tun hatten, die bis zu ihrem jähen Ende Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem Entwicklungsstand der Bronzezeit war. Auch deshalb hatten die spanischen Konquistadoren mit ihren eisernen Waffen und Pferden so erstaunlich leichtes Spiel. Hinzu kamen innere Machtkämpfe, die das Riesenreich – es erstreckte sich von Ecuador bis ins heutige Chile – schon vor deren Auftauchen geschwächt hatten und die Tatsache, dass es extrem zentralistisch und hierarchisch organisiert war. Sobald die Spanier den letzten Inka Atahualpa, also den gottgleichen Kopf des Reiches, durch eine Täuschung gefangen genommen und wenig später ermordet hatten, brach der Widerstand zusammen. Machu Picchu selbst haben sie allerdings nie entdeckt.
Auf den Wayna Picchu
Natürlich sind wir hier oben nicht alleine. Als Weltkulturerbe ist Machu Picchu Touristenmagnet Nr. 1 in ganz Südamerika und wurde schon unendlich oft fotografiert. Auch hat wohl jeder seine Bilder von diesem berühmten Ort im Kopf. Dennoch es ist angenehm, dass sich der Touristenstrom hier oben gut verteilt. Um noch einen besseren Überblick über die Ruinenstadt zu bekommen, besteigen wir – zur vorher genau festgelegten Uhrzeit, Anmeldung Monate vorher erforderlich – den Wayna Picchu, den steil aufragenden Felsengipfel direkt dahinter. Als wir davor stehen, rätseln wir, wie wir da hochkommen sollen: Es geht wirklich atemberaubend steil nach oben! Doch es lohnt sich, den von den Inkas erbauten Stufenweg hochzusteigen, denn von oben hat man einen faszinierenden Adlerblick auf Machu Picchu bis hin zu den nahen weißen Andengipfeln.
Vielfältige Leistungen einer Hochkultur
In der Woche, die wir insgesamt in Cusco verbringen, fahren wir mit klapprigen Bussen noch mehrmals in das Valle Sagrada, um weitere archäologischen Stätten der Inkazeit zu besuchen: die steilen Terrassen der oberhalb des Örtchens Pisac gelegenen Siedlung mit ihren Tausenden von Gräbern, die sehr eindrucksvolle Tempel- und Festungsstadt Ollantaytambo – der letzte Rückzugsort der Inkas nach dem Fall von Cusco – mit der berühmten Zyklopenmauer und die kreisförmige Stufenanlage von Moray – möglicherweise eine Art landwirtschaftlicher Versuchsanlage der Inkas – sowie die faszinierenden Salinas (Salzbecken) von Maras.
Überall dort erfahren wir von unseren gut ausgebildeten örtlichen Führern Erstaunliches über die Inkas: Ihre Ingenieure, Straßen- und Brückenbauer leisteten angesichts der bescheidenen technischen Entwicklung Bemerkenswertes. Das gesamte Straßennetz der Inkas besaß eine Länge von circa 40.000 km und war damit größer als das römische! Um die Menschen des Hochlandes und -gebirges zu versorgen und um Hungersnöten vorzubeugen, legten sie an den steilen Hängen große Vorratshäuser an, die – so Karen, eine unserer Guides – die Versorgung der Bevölkerung bis zu zehn Jahre sichern konnte. Auf den hochgelegenen Terrassen wurde eine große Vielzahl von Mais- und Kartoffelsorten, Tomaten und Quinoa, Kürbis, Avocados und Paprika angebaut – das alles auf einer Höhe zwischen 3.000 und 4.000 Metern. Auch das Kunsthandwerk, allen voran die Webkunst, standen auf einem hohen Niveau.
Während ich dies schreibe, kommen mir die Menschen in den Sinn, die alles dies mit ihrer Kraft und ihrer Hände Arbeit geleistet haben. Welche Mühsal, welche Schinderei muss es gewesen sein, die schweren Granitblöcke ohne Räder oder Wagen vom Steinbruch bis zum vorgesehenen Platz am Tempel zu bewegen und sie dort präzise zu bearbeiten? Und die Straßen im unwegsamen Hochgebirge zu bauen, dabei Tunnels in das harte Gestein zu graben? Das hat oft Jahrzehnte oder länger gedauert. Dazu fällt mir ein Gedicht von Bertolt Brecht ein:
Fragen eines lesenden Arbeiters
„Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon? Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war, die Maurer? (…) Der junge Alexander eroberte Indien. Er allein? Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war. Weinte sonst niemand? Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm? Jede Seite ein Sieg. Wer kochte den Siegesschmaus? Alle zehn Jahre ein großer Mann. Wer bezahlte die Spesen? So viele Berichte. So viele Fragen.“

Cusco feiert
Und die Nachfahren der Inkas? Kehren wir abends von unseren Fahrten nach Cusco zurück, erleben wir stets eine lebensfrohe, vibrierende Stadt. Da zur Zeit ein großes, mehrere Wochen dauerndes Fest stattfindet, dazu Paraden zum nationalen Tag der Fahne sowie feierliche katholische Prozessionen, ziehen von morgens bis abends Musik- und Tanzgruppen in traditioneller Kleidung oder in fescher Uniform über die Plaza de Armas und durch die Gassen. Diese sind laut, bunt und überquellend voll. Immer wieder hört man laute Böllerschüsse. Abends werden Feuerwerke abgebrannt. Die Stadt leuchtet – und scheint für uns in diesem Augenblick der Mittelpunkt der Welt zu sein.
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